blog
EnergiewendeEnergiepolitikGenossenschaften: Ein Erfolgsmodell im Wandel der Zeit

Genossenschaften: Ein Erfolgsmodell im Wandel der Zeit

In den vergangenen Jahren boomten Genossenschaften im Energiesektor – allein seit 2006 wurden 718 Neugründungen verzeichnet. Dieser Trend ist zwar aktuell wieder abgeflaut, doch im Großprojekt Energiewende spielten und spielen Genossenschaften eine wichtige Rolle – Greenpeace Energy ist mit 23.000 Mitgliedern die größte unter ihnen. Über die Entwicklung und Bedeutung des Genossenschaftsmodells sprachen wir mit dem Leiter des Hamburger Genossenschaftsmuseums, Dr. Burchard Bösche.

Frage: Herr Dr. Bösche, im Hamburger Museum präsentieren Sie Exponate aus vielen Jahrzehnten deutscher Genossenschafts-Geschichte. Welchen Stellenwert hat denn das Genossenschaftswesen heute insgesamt?

Konsumgenossenschaft_c_GenossenschaftsmuseumHamburg
Historische Aufnahme einer Berliner Konsum-Genossenschaft. Foto: Genossenschaftsmuseum Hamburg

Bösche: Es hat eine große Bedeutung. Das zeigt sich schon daran, dass es in Deutschland derzeit rund 21 Millionen Genossenschaftsmitglieder gibt – das ist dreimal so viel, wie hierzulande Aktionäre existieren. Dazu muss man sagen, dass die große Masse dieser Mitglieder bei den Genossenschaftsbanken ist. Ansonsten gibt es natürlich die klassischen landwirtschaftlichen Genossenschaften. Hier in Hamburg und auch in etlichen anderen Städten spielen Wohnungsbaugenossenschaften eine wichtige Rolle. Und daneben gibt es eine ganze Menge kleiner, neuer Genossenschaften in unterschiedlichsten Feldern – beginnend von Autovermietungen, Ökoläden bis hin zu neuen Wohnprojekten, Kinos oder Theatern. Das Genossenschaftswesen wächst – denn Genossenschaften sind eine gute Rechtsform für Projekte, bei denen man viele Leute beteiligen will, die sich nur mit wenig Geld beteiligen können.

Frage: Das Modell ist also im Aufwind? Manche haben ja – zum Beispiel auch als Folge der Finanzkrise – sogar von einer Renaissance der Genossenschaften gesprochen…

Bösche: Ja, wobei man hier differenzieren muss: Man kann Genossenschaften definieren als Unternehmen in der Form einer eingetragenen Genossenschaft – oder aber man definiert das inhaltlich und sagt: das ist etwas, wo eine Gruppe von Menschen gemeinschaftlich etwas bewegen und ihr Leben wirtschaftlich auf einem besseren Weg organisieren will. Und wenn man diesen erweiterten Genossenschaftsbegriff zugrunde legt, dann sind auch viele eingetragene Vereine in diesem Sinn eine ‚Genossenschaft‘. Und hier ist der Zulauf in der Tat sehr groß.

Boesche_c_ChristophRasch
Foto: Christoph Rasch / Greenpeace Energy eG

Dr. Burchard Bösche war bis 1997 Vorstandsekretär bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), dann Vorstandsmitglied des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften, in dem auch Greenpeace Energy Mitglied ist. Heute leitet Bösche das Hamburger Genossenschaftsmuseum der Heinrich-Kaufmann-Stiftung. Die Sammlung des Museums zeigt mit fast 3.000 Exponaten die mehr als 170 Jahre alte deutsche Genossenschaftsgeschichte.

Frage: Energie-Genossenschaften werden ja eher als ein neues Phänomen wahrgenommen, haben jedoch auch in früherer Zeit eine wichtige Rolle gespielt. Wie würden Sie hier die historische Entwicklung beschreiben?

Bösche: Wenn man auf die Ursprünge zurückschaut, dann waren viele Elektrizitätsversorger genossenschaftlich organisiert. So ist in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst inselförmig, dann flächendeckend die Elektrizitätsversorgung aufgebaut worden. Diese Genossenschaften sind dann in der NS-Zeit in staatliche Unternehmen umgewandelt worden, so dass die Genossenschaften aus diesem Feld verdrängt worden sind. In den USA ist das anders, da sind Genossenschaften noch in großem Umfang tätig. Hierzulande sind Energie-Genossenschaften mit der Liberalisierung des Strommarktes neu aufgekommen – diese machte es interessant, Leute zusammenzubringen um zunächst Strom selbst zu produzieren und dann eben auch auf der Abnehmerseite entsprechende Strukturen aufzubauen – und dafür steht ja eben auch die Geschichte von Greenpeace Energy.

Frage: Welchen Stellenwert und welche Bedeutung haben die rund 800 Energie-Genossenschaften in der gesamten deutschen Genossenschaftsszene?

Bösche: Zahlenmäßig sind sie eine eher randständige Größe. Dazu muss man auch wissen, dass viele Solarenergie-Genossenschaften Projekte sind, die von Volks- und Raiffeisenbanken vorangetrieben worden sind, als Anlageobjekte. Viele Genossenschaften, die Strom produzieren, hätten gerne eine Regelung, dass sie den Strom, den sie selbst erzeugen auch selbst verbrauchen – aber das lassen die heutigen gesetzlichen Regelungen noch nicht zu. Insofern ist der Charakter vieler Energie-Genossenschaften anders gelagert als zum Beispiel bei Wohnungsbauprojekten – da bauen wir gemeinsam ein Haus und dann wohnen wir auch drin. Mit dem Strom geht das leider nicht so einfach. Deshalb ist es auch wichtig, dass Greenpeace Energy hier immer wieder Pflöcke in die politische Diskussion einschlägt – und als Modell erfolgreich funktioniert, bei dem sich viele Menschen als Genossen einem Unternehmen anschließen können, das Strom aus erneuerbaren Energien produziert. Das ist wirklich klassisch genossenschaftlich.

Frage: In diesem Jahr feiert Greenpeace Energy sein 15jähriges Bestehen. Ist man mit diesem Alter in der Genossenschaftswelt schon ein ‚Veteran‘ – oder noch vergleichsweise jung?

Bösche: Bei den Konsumgenossenschaften haben wir Beispiele, die weit über hundert Jahre alt sind. Genossenschaften sind typischerweise Unternehmen, die vorsichtig agieren, die keine großen Spekulationen tätigen, die Chancen und Risiken sorgfältig abwägen. Und deswegen sind sie in der Regel langlebig. Das ist am Beispiel Italien auch untersucht worden: das durchschnittliche Alter von Genossenschaften ist in Italien erheblich höher als bei Unternehmen anderer Rechtsformen.

Genossenschaften sind Unternehmen, die vorsichtig agieren und keine großen Spekulationen tätigen. Und deswegen sind sie in der Regel langlebig.“Dr. Burchard Bösche

Frage: Sind Genossenschaften eine tragende Säule der Energiewende in Deutschland?

Bösche: Ja. Immer dann, wenn es darum geht, dass Bürger die Energienetze in einer Kommune übernehmen wollen, ist die Genossenschaft quasi die einzige mögliche Rechtsform. Das Besondere der Genossenschaft ist ja, dass man leicht, unbürokratisch und ohne große Kosten Mitglied werden kann – man kann auch unbürokratisch wieder aussteigen. Und für die Genossenschaften ist es auch weniger ein Problem, eine Mitgliederfluktuation zu bewältigen – bei einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH wäre das nicht möglich, da trennen Sie immer die Eigentümer vom eigentlichen Geschäft. Und deswegen ist die Genossenschaft oft die einzig taugliche Organisationsform, wenn Sie wollen, dass sich möglichst viele Menschen beteiligen.

Frage: Dennoch sehen sich viele Energie-Genossenschaften ja besonders unter Druck, was die Rahmenbedingungen für ihre Arbeit angeht – sei es durch neue Regelungen der EEG-Reform, sei es durch Änderungen im Kapitalanlagegesetz. Wie ernst sehen Sie solche Entwicklungen?

Bösche: Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass diese Neuregelungen existenzielle Bedrohungen darstellen. Aber richtig ist, dass der Erfolg der Genossenschaften entscheidend von ihren Finanzierungsbedingungen abhängt. Und je komplizierter man das macht, desto schwieriger wird das für die Betroffenen. Wobei Genossenschaften sich historisch vielfach finanziert haben durch Darlehen ihrer Mitglieder. Ein Beispiel: Hier im Museum zeigen wir die Geschichte der Hamburger Konsumgenossenschaft „Produktion“, die von Anfang an eine eigene Sparkasse gegründet hat – und die sich im wesentlichen durch Spargelder finanziert hat, und nicht nur durch die Kapitaleinlagen der Mitglieder. Diese Möglichkeit einer Genossenschaft ist eine zentrale Frage ihrer Finanzierung – denn die Mitglieder wollen, dass ihre Genossenschaft funktioniert. Das ist ihnen wichtiger als besonders hohe Zinsen. Und die großen, erfolgreichen Genossenschaften, die wir im Kaiserreich und in der Weimarer Zeit hatten, die sind erfolgreich gewesen durch diese Finanzierungskonditionen. In Italien ist es bis heute so: Dort kann jede Genossenschaft von jedem Mitglied bis zu 35.000 Euro Spareinlagen annehmen – mit der Folge, dass diese Genossenschaften dann auf Bankkredite nicht mehr angewiesen sind.

Werbekampagne2004_c_GPE
Ein Werbemotiv von Greenpeace Energy aus dem Jahr 2004, das ebenfalls unter den Exponaten im Hamburger Genossenschaftsmuseum gezeigt wird. Foto: Greenpeace Energy eG

Frage: Derzeit sieht man ja speziell bei den Energie-Genossenschaften deutliche Rückgänge bei den Investitionen, aber auch bei den Neugründungen. Was wären Rahmenbedingungen, die Genossenschaften auf diesem Sektor bräuchten, um sich wieder stärker entfalten zu können?

Bösche: Die Genossenschaften haben dadurch, dass sie in der Lage sind, viele Menschen an sich zu binden, wichtige Vorteile – sofern sie finanziell nicht besonders benachteiligt werden. Das Problem kleiner, junger Genossenschaften ist, dass sie von Anfang an mit viel zu hohen Gründungskosten und viel zu viel Bürokratie – was Prüfungen und Ähnliches angeht – belastet werden. Für große Unternehmen und auch wirtschaftlich große Genossenschaften ist das gerechtfertigt, für Genossenschaften, die sich gerade erst gegründet haben aber aus meiner Sicht eine völlig irrationale Belastung. Das heißt, hier wird systematisch die Gründung von Genossenschaften verhindert – das gilt nicht nur für den Energiebereich. Da muss sich was ändern. Wir sehen das ja an den Zahlen. Wir haben 8.000 Genossenschaften in Deutschland bei 80 Millionen Einwohnern. In Italien leben 50 Millionen Menschen – und dort gibt es 80.000 Genossenschaften.

Geöffnet ist das Genossenschaftsmuseum von Dienstag bis Donnerstag von 14 bis 17 Uhr oder nach telefonischer Vereinbarung unter 040 / 2800 3050. Adresse: Besenbinderhof 60, im Gewerkschaftshaus. Mehr Infos im Internet unter www.kaufmann-stiftung.de/Genossenschaftsmuseum.html.

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.