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Wo Mauern zu Wegen werden

Mit dem Parkour Creation Center Oberhafen – oder besser: DIE HALLE für alle – haben sich eine Handvoll Bewegungsenthusiasten einen echten Traum erfüllt und einen ganz besonderen Ort in der Hansestadt geschaffen: Einen Ort, an dem Mauern zu Wegen werden und Hindernisse zu Möglichkeiten. Folgen Sie uns ins Hamburger Oberhafenquartier.

Pariser Umland: Bonjour Tristesse.

Doch erst noch ein Schritt zurück: Wer die Pariser Banlieues kennt, weiß von der Trostlosigkeit des allgegenwärtigen Betons. Hier, am Rande der französischen Hauptstadt, zwischen dem Verfall preisgegebenen Wohnblocks, ist wenig Grün zu finden. Die bestimmende Farbe ist Grau: Das Leben hier ist geprägt von Arbeits- und Aussichtslosigkeit, Tristesse und Ausgrenzung. Und doch – oder vielleicht auch gerade deswegen – entstand hier Ende der 1980er Jahre quasi eine eigene Sportart. Aus den spielerischen Verfolgungsjagden der Kinder entwickelte sich mit der Zeit und unter Einbeziehung immer schwieriger Hindernisse Le Parkour.

Was auf den ersten Blick als Hindernislauf mit waghalsigen Turneinlagen anmutet, ist aber mehr als nur Sport. Parkour sei vielmehr die kreative Kunst, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu überwinden, heißt es beispielsweise bei Wikipedia. Gleichzeitig ist Parkour aber auch eine klare Ansage an die zunehmende Verwertungslogik unserer Zeit. Während der öffentliche Raum immer mehr kommerzialisiert wird, erobern sich die Parkourläufer – Traceure genannt – genau diesen Raum zurück und machen die Stadt zum Spielplatz.

Dreißig Jahre später, aber keine 700 Meter von unserem Büro entfernt, feiert nun DIE HALLE ihren ersten Geburtstag. Seit August 2017 befindet sich im Oberhafenquartier, dem östlichen Randgebiet der Hamburger Hafencity, die erste „richtige“ Parkour Halle Deutschlands. Kein Ort hätte dafür passender sein können. Das Gelände diente lange Zeit als Hauptgüterbahnhof, wird aber bereits seit über zehn Jahren für abwechslungsreiche kreative Zwecke genutzt. Nun soll hier in den nächsten Jahren ein vielseitiges Kreativ- und Kulturquartier entstehen. Und DIE HALLE mitten drin.

Joe Hofmann, Vorstand von Parkour Creation e.V. Foto: DIE HALLE

Im vergangenen Jahr hat sich DIE HALLE fest etabliert und ein umfangreiches Angebot entwickelt. Neben zahlreichen Kursen und Trainings finden hier auch Feriencamps, Kindergeburtstage oder KITA Ausflüge statt. Anlässlich ihres ersten Geburtstages haben wir uns mit Joe Hofmann, Vorstand vom Parkour Creation e.V., getroffen und uns mit ihm über Parkour, das Überwinden von Grenzen und die Zukunft des Oberhafenquartiers unterhalten.

Greenpeace Energy: Joe, über Dich heißt es auf Eurer Webseite: „Mit DIE HALLE hat sich Joe einen Traum erfüllt. Den Traum eines Begegnungsorts, in dem jedem die Möglichkeit geboten wird, Inspiration und Chancen zu erhalten, sein Selbst,- Körper und Umweltbewusstsein nachhaltig positiv zu können. Unabhängig von der Herkunft, Alter oder des Geschlechts.“ Das klingt ziemlich idealistisch. Wie kamst Du, bzw. wie kamt Ihr auf die Idee, eine Parkour Halle zu eröffnen?

Joe Hofmann: Das Projekt ist und bleibt wirklich sehr idealistisch motiviert. Wir kommen alle aus dem Parkour-Sport und haben uns daher schon lange eine Trainingsmöglichkeit gewünscht, wie es Sie in vielen anderen Ländern schon gibt. Auch hier zulande gibt es eine immer größer werdende Gemeinschaft rund um den Sport, der wir hier ein Zuhause geben wollten. So können wir unseren Sport an sehr viele Menschen weitergeben und ihnen Wege und Perspektiven durch Parkour eröffnen. Uns war von Anfang an wichtig, hier „DIE HALLE für Alle“ zu eröffnen, also einen Ort, wo jeder teilhaben und sich wohlfühlen kann. Dabei soll DIE HALLE keine reine Sportstätte sein. Vielmehr wollen wir rund um Parkour einen Möglichkeitsraum erschaffen, der wie die Sportart selbst Raum für neue Ideen schafft.

GPE: Kann denn jeder Parkour machen? Wenn man sich einschlägige Videos im Netz anschaut, sieht das schon recht anspruchsvoll aus…

Viel Freiraum im Oberhafen. Foto: DIE HALLE

Joe: Es ist ja gerade so schön beim Parkour, dass wirklich jeder mitmachen kann. Was man in diesen Videos sieht, ist natürlich das Ergebnis jahrelangen Trainings. Der Einstieg ist aber tatsächlich sehr niedrigschwellig und dadurch, dass es im Parkour weder Regeln noch Grenzen gibt, kann jeder den Sport auf seine ganz eigene Art und mit den eigenen, individuellen Voraussetzungen entdecken. Die Verletzungsgefahr ist dabei übrigens sehr gering, weil es keine Fremdeinwirkung gibt und man seine eigenen Fähigkeiten und deren Grenzen sehr gut kennenlernt.

GPE: Neben einer ganzen Reihe von Kursen bietet Ihr mittlerweile auch Tanz und Theater eine Bühne. An wen richtet Ihr Euch mit Eurem Angebot?

Joe: Mit unserem aktuellen Theater-Projekt ‚Salon International‘ wollen wir vor allem Geflüchtete, aber auch Jugendliche ansprechen, die schon immer hier waren. Gemeinsam erarbeitet das offene Ensemble eigene Stücke und Shows und kombiniert dabei klassisch westliche Bewegungskulturen mit denen aus den Herkunftsländern der Teilnehmer. Es ist unglaublich spannend, was passiert, wenn man zum Beispiel syrische Volkstänze mit Bewegungen aus Parkour und Breakdance verbindet. Dabei steht vor allem die Gemeinschaft und der Spaß im Vordergrund: In unserer ersten Inszenierungen haben wir auf der Bühne unseren eigenen Staat mit dem sehr treffenden Namen ‚Allemalachen‘ gegründet – und dann wieder verworfen, weil wir Nationen-Denken eben ziemlich doof finden.

GPE: Im Netz sind wir auf einen weiteren tollen Satz von Euch gestoßen: „Beim Parkour werden Mauern zu Wegen und Hindernisse zu Möglichkeiten.“ Gerade jetzt, wo sich viele Menschen in Europa höhere Mauern und „sichere“ Grenzen wünschen, setzt Ihr damit einen wichtigen Kontrapunkt gegen die zunehmende Ausgrenzung und setzt Euch ganz konkret für die Integration und Inklusion sowohl von Geflüchteten, als auch von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen ein. Wie sieht das in der Praxis aus?

Joe: Über unsere verschiedenen Integrationsprojekte wollen wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, niedrigschwellig an der Gemeinschaft der HALLE teilzuhaben. Die Integration funktioniert dann fast von alleine, denn der Sport überwindet auch Grenzen in den Köpfen und Bewegung funktioniert dabei als universelle Sprache, die jeder versteht. Beim Parkour sind alle gleich. Gleichzeitig wollen wir den Teilnehmern auch Wege in die Gesellschaft, etwa auch in die Arbeitswelt, erleichtern und beschäftigen jetzt zum Beispiel schon zwei junge Syrer als Trainer. Parkour stärkt ungemein das Selbstbewusstsein, aber auch eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Ganz grundlegend lernt man eben auch, dass vermeintliche Hindernisse und Schwierigkeiten durchaus Möglichkeiten sein können und wie man diese bezwingt, anstatt sie zu umgehen.

GPE: Mit Feriencamps und Fortbildungen verfolgt Ihr auch einen pädagogischen Ansatz. Wie können wir uns die pädagogische Arbeit bei Euch vorstellen?

Joe: Wir wollen nur ein absolutes Mindestmaß an Regeln und einen Rahmen bieten, damit alle sicher und gemeinschaftlich trainieren können. Darüber hinaus lernen die Kids in der eigenständigen Konfrontation mit immer neuen „Challenges“, also Herausforderungen, viele soziale und selbstbezogene Kompetenzen – sowohl körperlich, als auch sozial. Dazu zeichnet sich die Parkour Community durch ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein aus, ganz nach dem Leitsatz „Be strong to be useful – Sei stark, um nützlich zu sein. Fast jeder ruft eigene Projekte ins Leben oder engagiert sich über den Sport auf seine eigene Weise für Schwächere. Vor allem wird jeder so akzeptiert, wie er ist, Individualität wird als Stärke angesehen. Die Großen machen das vor und die Kleinen ziehen begeistert mit.

GPE: Ihr bezeichnet Euch als einzigartigen Veranstaltungsort, der auch für Ausstellungen, Geburtstage oder den nächsten Betriebsausflug genutzt werden kann. Das heißt, man kann Euch mieten?

Joe: Wie gesagt sind wir für neue Ideen immer offen, vom Kino-Abend bis zur Jobmesse für Kreativbesuche war schon alles dabei. Mit Bühne, Freifläche und einem separaten Kursraum soll DIE HALLE genau so vielseitig sein, wie die Sportart selbst. Also ja, man kann uns mieten. Obendrauf ist DIE HALLE hier im Oberhafen ja sehr zentral und liegt in einem bundesweit einmaligen Kreativquartier.

GPE: Neben dem Club „Moloch“ und dem Fundus „Hanseatische Materialverwaltung“ gehört Ihr nun zu den ersten Mietern im Quartier. In den kommenden Jahren soll hier ein neues Kreativzentrum entstehen. Seid Ihr in die Entwicklung des Quartiers mit einbezogen? Hast Du eine Vorstellung, wie das Quartier in fünf Jahren aussehen wird?

Joe: Wir haben da keine genaue Vorstellung, die wollen wir aber auch gar nicht haben. Das Quartier ist in unseren Augen ein Freiraum, wie es ihn in Hamburg nur noch sehr selten gibt, und soll sich als solcher auch frei und prozessual entwickeln können und nicht von oben herab geplant werden. Kreatives Wachstum eben. Dabei haben wir gemeinsam mit der Hafencity GmbH und der Nutzergemeinschaft hier einen bundesweit einzigartigen Stadtentwicklungsprozess ins Leben gerufen, wobei die Nutzer nicht nur an Entscheidungen und Entwicklungen beteiligt sind, sondern das Quartier sich auf lange Sicht sogar ganz eigenständig verwalten kann. Das ist natürlich ein langer und arbeitsamer Prozess, aber wir glauben, dass sich das lohnt.

GPE: Zum Schluss noch das Wunschkonzert… was sind Deine konkreten Wünsche für die Zukunft? Wo wollt Ihr mit DIE HALLE in fünf Jahren sein?

Joe: In fünf Jahren, aber hoffentlich auch noch weit darüber hinaus, wollen wir unser Lieblingsstadt hier im Oberhafen einen einzigartigen Möglichkeits-, Bewegungs- und vor allem Begegnungsraum bieten, den wir bis dahin immer weiter ausbauen wollen. Schon jetzt haben unglaublich viele Menschen hier wirklich eine Heimat gefunden, DIE HALLE soll aber auch als Ausgangspunkt für ganz neue Projekte dienen. In der unmittelbaren Zukunft wollen wir viel für den grenzübergreifenden Dialog tun und die Grenzen in den Köpfen der Menschen immer weiter abbauen. So bringen wir mit unserer Gravity Sucks Jam jedes Jahr mehr als 300 junge Sportler aus zuletzt über 35 Nationen zusammen. Daraus hat sich auch unser erstes internationals Parkour-Projekt ‚Creating the Us‘ entwickelt, wobei wir zusammen mit befreundeten Parkour-Läufern eine überregionale Parkour-Jam in Erbil im Nord-Irak organisiert haben. Wir hoffen, dass immer mehr Menschen zu uns kommen und aktiver Teil von diesem wunderbaren Projekt werden. DIE HALLE für Alle eben!

GPE: Vielen lieben Dank für Deine Zeit!

Info: Mehr Informationen zu DIE HALLE finden Sie auf der Webseite. Kleiner Tipp für Eltern: Seit September werden auch Kurse für die ganz Kleinen im Alter von 5 bis 7 Jahren angeboten. Hier geht es zur Voranmeldung. Viel Spaß!

Matthias Hessenauer
Matthias Hessenauer
Der Medienkaufmann und studierte Marketing-Kommunikations-Ökonom ist seit 2008 bei Green Planet Energy tätig. Nach seinem Quereinstieg in den Privatkundenservice und weiteren acht Jahren im Marketing, verantwortet er seit 2019 den Bereich Kooperationen bei Green Planet Energy.