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Polizeigewalt in Lützerath

Polizeigewalt in Lützerath

Polizeigewalt in Lützerath: „Wen schützt der Staat eigentlich, die Bürger oder RWE?“

Kaum ein anderes Thema hat den klimapolitischen Diskurs der letzten Wochen stärker geprägt als die Räumung Lützeraths zugunsten des Braunkohleabbaus im anliegenden Tagebau Garzweiler II. Am 14. Januar, kurz nach Beginn der Räumung des Weilers, in dem Aktivist:innen bis zuletzt Widerstand geleistet hatten, zog es tausende Menschen aus ganz Deutschland in die benachbarten Dörfer. Dort demonstrierten sie gegen den Abriss Lützeraths, der als „Preis“ für den vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 im rheinischen Braunkohlerevier von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und dem Energiekonzern RWE ausgehandelt worden war.

Was von diesem Tag in Erinnerung bleibt, sind einerseits Bilder von Demonstrierenden, die – weitgehend friedlich – mit Schildern und Bannern gegen den Kohleabbau protestieren. Vor allem aber sind es Aufnahmen von Einsatzkräften, die mit Faustschlägen, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Demonstrierende vorgehen. Mehrere Personen wurden an diesem Tag von der Polizei verletzt, einige von ihnen mussten sich im Krankenhaus behandeln lassen.

Herr A., Kunde und Mitglied bei Green Planet Energy (GPE), ist einer von ihnen. Gemeinsam mit seiner Frau reist der Diplomingenieur, der hier anonym bleiben möchte, zur Demo an. Nach der Kundgebung wird er von einem Polizisten mehrfach ins Gesicht geschlagen. Stunden später entlässt man ihn aus der provisorischen Polizeiwache in Lützerath – allein an einer abgesperrten Landstraße, mit einer offenen Platzwunde und, so stellt ein Arzt später im Krankenhaus fest, gebrochener Nase.

Zahlreiche Menschen mussten ins Krankenhaus

Herr A. wandte sich an GPE, um seinen Fall publik zu machen. Seine Schilderung des Vorfalls hat uns sehr bewegt – auch, weil er und seine Frau zur Demo fuhren, nachdem sie unseren Aufruf im Newsletter gelesen hatten. Nun, einige Wochen nach dem Vorfall, haben wir per Videotelefonat mit dem Ehepaar über seine Erfahrungen gesprochen.

GPE: Wie geht es Ihnen heute, einige Wochen nach Ihrem Erlebnis in Lützerath? 

Herr A.: Inzwischen geht es besser, die Nase ist einigermaßen heil. Ich habe unter dem Auge eine Narbe, die wird wohl bleiben. Das ist das Dramatischere für mich. Schmerzen habe ich nicht mehr, bis auf etwas Empfindlichkeit unter der Nase.

Warum haben Sie sich entschieden, zur Demo zu fahren?

Herr A.: Wir haben den Aufruf im Newsletter von Green Planet Energy gesehen und entschieden, zur Demo zu fahren. Ich habe auch meinem Bruder Bescheid gesagt, der ist mit seiner Familie mitgekommen, weil sie sich auch für die Energiewende interessieren. Vor allem die Kinder, insbesondere der 14-jährige Sohn. Die Kinder wollten das selbst sehen, sie wollen Teil der Energiewende sein. Es geht ja um deren Zukunft.

Können Sie beschreiben, was an dem Tag passiert ist?

Herr A.: Wir haben uns auf der Demo getroffen und sind den Demonstrationszug mitgelaufen. Es waren sehr viele Menschen da. Das Wetter war nicht einladend, es war sehr schlammig. Irgendwann waren wir dann am Platz, wo die Kundgebung sein sollte. Dann hat sich der Demonstrationszug Richtung Lützerath bewegt, nicht in Richtung der Abbruchkante.

Demonstrierende bei Lützerath
Zehntausende Menschen demonstrieren in der Nähe des Tagebaus Garzweiler II gegen die Räumung Lützeraths. © Oliver Tjaden

Die Stimmung war ruhig an der Stelle, es standen viele Menschen auf einem Wall. Da sind wir hoch und haben kurz runtergeschaut. Wir sind aber direkt wieder runtergegangen. Auf einmal kamen die Polizisten nach oben und die Leute flogen vom Wall. Und dann kamen sie schlagartig vom Wall auf uns unten stehende Demonstranten zu.

Sie haben sich also nicht offensiv verhalten?

Herr A.: Nein, ich habe nur gerufen „Was soll das?“. Es war sehr unübersichtlich, und ich habe mich nach hinten orientiert, denn ich hatte Angst um meine Frau und vor allem um meinen Neffen. Ich hatte Angst, dass sie überrannt werden von den Polizisten. Und dann bin ich zu Boden geworfen worden. Ein Polizist war auf mir und schlug mir ins Gesicht. Und nur ins Gesicht. Er hat gezielt ins Gesicht geschlagen und immer auf dieselbe Stelle, immer wieder mit seiner rechten Faust in meine linke Gesichtshälfte. Als er von mir abließ, sagte er: “Hast du genug, Großer?” und dann wurde ich abgeführt.

Frau A.: Ich stand da vor dieser Polizeikette und habe gesehen, dass mein Mann das ganze Gesicht voller Blut hatte, als sie ihn dann hochgehoben haben.

Herr A.: Das hat sehr stark geblutet, vor allem aus der Nase…

Frau A.: … und aus dem Auge… In der Nähe waren Demo-Sanitäter. Sie standen an dieser
Polizeikette und durften nicht zu ihm, weil die Polizisten meinten, sie hätten ihre eigenen Sanis. Und dann habe ich gesagt: “Ich bin Ärztin, lassen Sie mich zu meinem Mann”, das durfte ich nicht. Das war unterlassene Hilfeleistung.

„Als Ärztin durfte ich nicht zu meinem Mann, das war unterlassene Hilfeleistung“

Herr A.: Am Zaun von Lützerath haben die Polizisten mich dann durchsucht. Sie waren enttäuscht, weil ich direkt einen Ausweis gezeigt habe, als sie danach gefragt haben. Und auch als sie meinen Rucksack durchsucht haben, waren sie enttäuscht, dass da nichts drin war, außer einem Baguette, einer Wasserflasche und meinem Handy. Die haben mich dann abgeführt, weiter nach Lützerath rein. Es hat immer stärker geblutet und ich habe gemerkt, dass mein Gesicht immer stärker anschwillt. Ich fragte, wann ich medizinisch versorgt würde. Der eine Polizist meinte: “Ich hol dir ein Coolpack”. Kurz darauf kam er mit zwei Coolpacks zurück: eins für mein Gesicht und eins für die Faust seines Kollegen, der mich geschlagen hatte.

Demonstrant wird von Polizist festgehalten
Bei den Auseinandersetzungen wurden mehrere Menschen von den Einsatzkräften verletzt. Medienberichten zufolge mussten 15 Demonstrierende im Krankenhaus behandelt werden. © Oliver Tjaden

Ich habe wieder nach medizinischer Versorgung gefragt, da kam immer noch keiner. Niemand hat sich meine Wunden angeguckt. Die Wartezeit war lang, ich glaube insgesamt zwei Stunden. Ich durfte kurz mit meiner Frau am Telefon sprechen. Nach einiger Zeit kam ein Krankentransportwagen, aber ohne Rettungssanitäter. “Wir haben jetzt keine Ausrüstung dabei, aber wir können Sie ins Krankenhaus mitnehmen”, haben die gesagt. Da meinte der Polizist: “Wenn Sie jetzt ins Krankenhaus gehen, können wir Sie jetzt nicht vollständig entlassen”. Ich dachte: Ok, ich kann auf zwei Beinen stehen, und wollte dann lieber entlassen werden.

Nach einer Weile fuhren mich die Polizisten mit dem Gefangenentransport raus aus Lützerath. Aber wirklich an den Zaun von Lützerath, also im Sperrgebiet, an der Landstraße, wo mich keiner abholen konnte. Auf dieser Straße, im Dunkeln, im Regen, mit offener Wunde und gebrochener Nase, bin ich rausgelassen worden, im Nichts. Ich war wirklich verzweifelt, weil ich nicht wusste, wie ich laufen sollte, weil ja alles abgesperrt war. Mein Bruder wollte mich abholen, kam aber wegen der Absperrungen auch lange nicht weiter. Es hat über eine Stunde gedauert, bis wir uns wiedergefunden haben.

„Mit offener Wunde und gebrochener Nase bin ich von der Polizei rausgelassen worden… im Nichts“

Frau A.: In der Zeit hatte ich wirklich sehr große Angst um ihn. Zum Glück hatten wir Kontakt übers Telefon. Er hat uns seine GPS-Daten geschickt, und ich habe in dem Moment gedacht: „Scheiße, was ist, wenn er eine innere Blutung hat, er bewusstlos wird und hinfällt. Im Dunkeln finden wir ihn nicht, und die Polizei wird uns auch nicht helfen“. Ich war unfassbar erleichtert, als wir ihn endlich wiederhatten.

Wie haben Sie das Verhalten der Polizei auf der Demonstration insgesamt wahrgenommen?

Herr A.: Das Auftreten der Polizei fand ich sehr provokativ. Die Polizisten haben nicht bloß den Bereich abgeriegelt. Sie sind immer wieder nach vorne gestoßen. Und ich bin jedes Mal irritiert, wenn es heißt, die Polizei hätte Leute beschützt, so dass sie nicht die Abbruchkante runterfallen. Ich habe Gegenteiliges beobachtet: Als Demo-Teilnehmer am Beginn vom Kundgebungsplatz auf dem Acker standen, sind die Polizisten vorgedrungen und haben die Leute in genau diese Richtung gedrängt.

Frau A.: Die Bilder, die dann in der Presse gezeigt wurden, da waren Leute drin, die im schwarzen Block unterwegs waren, aber das war wirklich die Minderheit. Die Mehrheit waren zivile, bunte Menschen. Nach der Kundgebung ist ein Großteil der Menschen, die dort waren, in Richtung Lützerath weitergegangen. Wie die Polizei darauf reagiert hat, fand ich unverhältnismäßig. Es waren Kinder dabei und alte Männer und Frauen. Da waren Menschen mit Behinderung.

Herr A.: Die Polizisten sind einfach in die Menge reingerannt und haben dabei in Kauf genommen, dass auch Kinder überrannt und verletzt werden können. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, was die mit diesem aggressiven Vorgehen erreichen wollten, außer zu zeigen: „Ihr demonstriert hier nicht nochmal oder wir hauen euch eins auf die Nase“.

Welches Gefühl löst die Erinnerung an die Demo aber auch an die Polizeigewalt in Ihnen aus? 

Herr A.: Machtlosigkeit. Ohnmacht. Der Umgang mit Menschen, die eigentlich nur demokratische Mittel benutzen, wie zivilen Ungehorsam. Dass man so brutal mit Menschen umgeht, die sich friedlich zur Wehr setzen. Auf der Demonstration haben ein paar Leute Schlamm geworfen, das haben wir gesehen. Aber keine Steine oder irgendetwas, mit dem ernsthaft ein Polizist verletzt werden könnte. Ich finde es bedenklich, dass die Mittel der Demokratie so verunglimpft werden.

Frau A.: Das Gefühl der Ohnmacht hat sich auch bei mir eingestellt. Wen schützt der Staat eigentlich? Den Bürger oder die Kapitalinteressen von Großkonzernen wie RWE? Es ist erschreckend, dass man dafür diffamiert wird, dass man sein Recht in Anspruch nimmt, sich dagegen zu wehren.

Herr A.: Sowas darf man nicht akzeptieren, und deshalb ist es uns wichtig, öffentlich über diese Polizeigewalt zu sprechen.

Das Interview wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt.

 

 

Green Planet Energy zu den Protesten in Lützerath

Green Planet Energy steht – mit seinen Wurzeln in der Umweltschutzorganisation Greenpeace – für absolute Gewaltfreiheit. Das gilt auch für die Teilnahme an oder die Aufrufe zu Demonstrationen wie Mitte Januar in Lützerath.

Wir als Ökoenergiegenossenschaft beteiligen uns nicht an gewaltsamen Aktionen oder den Aufrufen dazu und haben das auch nie getan, weil sich das mit unseren Werten nicht deckt.

Friedlichen Protest allerdings halten wir angesichts der mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht zu vereinbarenden drohenden Abbaggerung der Kohle unter dem Dorf Lützerath für legitim und auch für sinnvoll. Er ist zudem durch das Demonstrationsrecht gedeckt und somit legal – was auch schon durch diverse Urteile höchster gerichtlicher Instanzen bestätigt wurde.

Ein solcher – legaler und friedlicher – Protest kann sich, wie im Fall von Lützerath, durchaus auch gegen bereits gefällte politische und juristische Entscheidungen richten. Die Demonstration in Lützerath, für die wir im Newsletter – ebenso wie gewaltfreie Organisationen wie z.B. Greenpeace, BUND oder Fridays for Future – zur Teilnahme aufgerufen hatten, war rechtens und legitim.